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Nathan Coley

Pavillon – we should cultivate our garden

2009
260 × 210 × 200 cm
Eisen eloxiert, Holz, Farbe, Steinplatten

*1967 in Glasgow, Schottland
lebt und arbeitet in Glasgow

››› https://www.studionathancoley.com

»We should cultivate our garden.«¹

Am Wegesrand, ein wenig verborgen zwischen Bäumen und Büschen, steht ein offenes hellweiß lackiertes Holzgebilde. Wenn es dämmert leuchtet sie wie ein kostbarer Schrein vor dem dunklen Gehölz. Beim Näherkommen dann entpuppt sie sich als ein kleines Gebäude, als so etwas ähnliches wie ein kleines Gebäude oder ein Pavillon, eigentlich als ein umzäuntes Minigelände. Etwas weiter weg grasen Pferde auf einer Weide. Manchmal sind es Kühe.

Ein architektonisches Gebilde als Markierung, für den von struppiger Natur umgebenen, auf den ersten Blick recht unspektakulären Ort am oberen Rand des Tals.

Hier steht eine Art Ruinen-Architektur mit dem Charme einer Barrikade, von der aus man in dauernd wechselnden Perspektiven in die mit Kunst bestückte Landschaft blickt. Der Pavillon hat einen plattierten Boden, durchbrochene Wände aus quer verlaufenden Holzbohlen, keine Decke. Er bietet also keinen Schutz vor dem Wetter, keinen Schutz vor Blicken und vor kalten Füßen. Aber: Von hier aus habe ich einen weiten und wechselvollen Blick, denn von jenem Randweg öffnen sich verschiedene Ansichten des Tals ohne Hierarchien und ohne zentrale Blickachsen. Alles ist Attraktion.

Die Natur im Tal ist Land, Land das bewohnt und beackert wird, das daliegt, manchmal gefressen wird, manchmal betrachtet, nur selten gemäht. Land, das naß wird und Landschaft, in der Kunst heimisch werden kann. Aber was macht das Haus, das kein Haus ist, mit seiner Umgebung? Ein bißchen sieht es ja aus wie eine Zeichnung, wie eine ins Dreidimensionale erweiterte Skizze von einem Haus, wie eine Idee. Oder wie der Geist eines kleinen Hauses. Es scheint nur aus Umrißlinien zu bestehen. Ein senkrecht stehendes Eisengerüst, Hölzer, Steinplatten. Gebaut aus alltäglichen, gebräuchlichen Materialien und in der Konstruktion geometrisch klar. Selbst als Einzelstück hat es etwas Serielles. Die horizontal verlaufenden Bohlen sind außen weiß, innen wechselnd farbig. Sie frieden in offener Wandstruktur ein nicht begehbares Inneres ein.

Der Blick aus der Entfernung indes offenbart eine Irritation, die die kubische Konstruktion Coleys mit dem Futterstall auf der Wiese zusammenbindet. Die Formsprache und die angedeuteten Referenzen des kleinen Pavillonhauses am Rand des Tals lösen dessen Ambivalenz indes nicht auf. Das Changieren zwischen nüchternem Zweckbau und feiertäglicher Vergnügungsarchitektur bleibt sein zentrales Charakteristikum. Obschon es einen großen Zauber ausübt, fügt sich das eckig Häuschen doch ebenso in die Nutzlandschaft des Tals wie in die Phantasien der Vorübergehenden.

Ich bin an einem ausgezeichneten Ort, zu dem ich keinen Zugang habe. Wäre ich lieber im Innern des kleinen Gebäudes? Ist es drinnen besser, schöner, wärmer? Die Verlockung, das besondere architektonische Objekt von innen zu sehen, ist groß. Die Gewißheit, dass im unzugänglichen Inneren mehr zu sehen ist, mehr zu erleben, dass es dort, wo ich nicht sein kann, schöner ist, ändert meine Perspektive auf das Mögliche. Der Pavillon, der hier zitiert wird, die kleine, versteckte Laube ist ein verheißungsvoller, lockender Ort. Die Verweigerung Teil des Spiels.

Architektur, verstanden als Zusammenspiels von Begrenzung und Entgrenzung, als Öffnung zur Außenwelt und als Verschließung. Es ist freundliche Einladung und zugleich ist es überhaupt nicht vorgesehen, drinnen zu sein. Ich kann von außen immer nur durch die Wände hindurchschauen und was ich sehe sind die Bodenplatten und die buntgemalten Hölzer im Innern.

Beim Blick von Nathan Coleys kleinem Pavillon über das Tal hinweg ist, deutlicher als von unten, die Einhegung der Landschaft zu erkennen: überall sind die kleinen Zäune, die die Weiden einfassen, stehen geblieben. Einfache Holzpfähle mit Rundhölzern verstärkt oder mit Stacheldraht strukturieren die Landschaft, teilen Parzellen ab, nicht streng und regelhaft, sondern der Landschaft, den Eigentumsverhältnissen, den Bedingungen ihrer Nutzung folgend. Wiesen und Weiden eben. Hier sieht es so aus, wie es immer ausgesehen hat und wie es aussehen sollte. Hier gibt es Stellen, deren Besonderheit sich in der betrachtenden Hinwendung offenbart. Etwas weiter oberhalb, auf der anderen Seite des Tals, die freigeräumte Landschaft mit ihren Monokulturen. Hier gibt es keine Weidenzäune oder hölzernen Futterstände, die offen und in ihrer Machart einfach und transparent sind und mit denen der minimalistische Pavillon Coleys in einen formalen Dialog treten kann. Hier gibt es keinen erträumten Pavillon. Hier gibt es keinen sich schlängelnden Bach und hier gibt es keine verwunschenen Winkel unter Bäumen und zwischen Büschen, in denen man sich verbergen und den Blicken entziehen könnte. Hier gibt es keine Geheimnisse. Das Tal ist so auch ein Statement gegen die Landschaftsvernichtung durch Verkehr und Industrie – und ein Auffangort der Utopie.

Halb im Gebüsch verborgen, dennoch nicht zu übersehen, markiert das zurückgenommene architektonische Objekt von Nathan Coley einen ausgezeichneten Ort. Die Aufmerksamkeit und Achtung, die der Künstler mit seinem kleinen Haus auf den Ort und seine leeren Stellen lenkt, haben diesen verändert und zu einem Raum werden lassen, der den Menschen und seinen Blick auf diese Natur zu etwas Besonderem macht.

Katja Behrens

1 Appell des französischen Philosophen Voltaire, den Coley als große Leuchtschrift an verschiedenen Plätzen im urbanen und halburbanen Raum auftauchen läßt. Voltaire, Candide oder der Optimismus, 1759 erstmals anonym erschienen. Im französischen Original heißt es »Il faut cultiver notre jardin.«

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