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Christoph Schäfer

Saloon La Realidad Filiale Hasselbach

2008/09
4 Hocker, Vierkantrohr
8 x 8 x 40 cm | 5 x 40 x 40 cm
1 Bank 40 – 5 x 118 x 39 cm
2 Tische 75 – 5 x 78,5 x 78,5 cm
1 Tisch 75 – 5 x 156 x 58 cm
1 Tisch 75 – 5 x 120 x 40 cm (Insel)

Materialien: Eisen verzinkt, Stein, glasierte Fliesen, glasierte Keramik

Christoph Schäfer
*1964 in Essen
lebt in Hamburg

››› https://christophschaefer.net/

»Wie alles anfing«

 

»Dort sind Wiesen schwellend und süß, voll rinnender Wasser
Bis ans Meer, da stünde der Weinstock immer in Trauben;
Und ein Saatgrund, eben und rein, es würden die vollen
Halme sich beugen zum Schnitt: so fett ist unten das Erdreich…
Oben im Haupte der Bucht entspringt das lautere Wasser
Mitten im Fels, ein Quell von flüsternden Pappeln umstanden.«1

 

An dem kleinen Flüßchen, das sich durchs Tal schlängelt, trifft man unvermutet auf einen weiteren besonderen Ort: Christoph Schäfers ›Salon de la Realidad. Zweigstelle Hasselbach‹ Der idyllische Platz, umgeben von Wiesen und Büschen, von Wasser und Blumen, Erdreich und flüsternden Eschen, lädt ein zu Kontemplation, zu Rast und Ruhe.

Ovale Tische und einige Hocker stehen in der Landschaft beieinander, zwei haben sich auf die kleine Insel verirrt. Hinsetzen freilich kann man sich nicht, denn belegt sind die freundlichen Möbel mit Keramikfliesen. Jeder Tisch, jeder Hocker, der in der Landschaft steht, ist anders bemalt, meistens sind sie auch beschrieben. Die Keramikplatten schimmern weiß und blau, Linien und Kleckse, Punkte, Flecken, Markierungen. Schrift und Bilder wie seltsame Landkarten, mehrere Berge und zwischendurch Löcher mit demselben Grundriss wie die Erhebungen, festgeklebte Teller. Ein angeschnittenes tönernes Brot liegt auf Tisch und Stuhl, seine Oberfläche ist rauh und glatt zugleich: »Wie alles anfing.« Auch die anderen Objekte, die auf den Tischen und Podesten herumliegen, die kleinen und größeren Berge, Haufen, Klumpen sehen aus als wären sie eßbar. Weiß grundiert und blau geädert, die Farbe scheint ihren eigenen Gesetzen zu gehorchen. Eine dicke Glasur hüllt sie ein und rundet jede Kante, die anthropomorphen Haufen glänzen verlockend und es scheint fast als würde eine schwere süße Sauce langsam an ihnen herablaufen.

An diesem ausgewählten Ort des Tals bündeln und verweben sich verschiedene Geschichten. Da ist die Geschichte der gastlichen Tafel, die erzählt von Speisung, Einladung, Beisammensein, von langsam verstreichender Zeit. Gemeinsame Essenszubereitung, gemeinsames Tischdecken, gemeinsames Essen, gemeinsam verbrachte Zeit. Ist also Christoph Schäfers Tisch- und Geschirrinstallation ein Appell, die Gemeinschaft zu pflegen? Mit Sicherheit.

Denn dann sind da auch die etwas irritierenden Worte auf einem der Tische: „Mit 2000 Kühen war das Kutel 1970 der größte Milchbetrieb Europas. Der Produktionsprozeß selbst inszeniert als Erlebnisausstellung. Doch schon bald wollte niemand mehr Kühe sehen, die der Logik der Fließbandproduktion unterworfen wurden. Das Kutel wurde geschlossen. Anfang der 1990er wurden Flüchtlinge in dem leeren Betrieb untergebracht.“

Der Text, illustriert mit drei wohlbekannten, freundlichen Kuhgesichtern, ist unaufgeregt und deutlich: Die Logik der Fließbandproduktion war für die Milchgewinnung irgendwann nicht mehr zeitgemäß, die auf immer weitere Steigerung der Masse setzende Milchproduktion war unattraktiv geworden. Stattdessen fand man eine neue praktische Verwendung für die alten Ställe. Nun wurden Flüchtlinge, Menschen ohne Zuhause, ohne Einladung und ohne Zukunftsperspektive hier untergebracht.

Außerdem ist in den Keramik-Tischen die verzweigte Historie dieses Handwerks gegenwärtig. Eine Geschichte der Verbreitung und gegenseitigen Einflußnahme einer Handwerks- und Bildtradition, die ebenso mit Migration zu tun hat wie mit globalen Handelsbeziehungen. Und deren Ewigkeitsanspruch in der blauen Farbe durchschimmert. Das haltbarere blaue Porzellan aus China sollte schon in den blauen Delfter Kacheln imitiert werden, die wiederum eine Referenzgröße der Keramiktische im Tal sind – gefertigt aus Westerwälder Ton. Vor dem Hintergrund der weit verzweigten Keramik-Traditionen vermitteln Christoph Schäfers Tische nicht nur zwischen Meißen und Yangzhou, sondern ebenso zwischen Höhr-Grenzhausen und Delft.

Auf einem anderen Tisch ist zu lesen: »Wir begannen wieder damit, Ziereremiten für die Gärten der Fürsten zu besorgen.« Die in den englischen Landschaftsgärten eigens errichteten Eremitagen erfüllten den modischen Zweck der Einsiedelei als ausgesuchten Ort des Rückzugs und der Versenkung in die Natur – obschon natürlich die Fürsten keine Zeit hatten, sich selbst zu versenken. Tatsächlich schmückten sie sich mit meditierenden Einsiedlern, die sie anwarben, damit diese sich an ihrer statt in die Natur versenken. Die Eremiten wurden als Zierde und Ersatz-Erlebnis in die Landschaft gesetzt und pervertierten so den an das Naturerleben geknüpften Anspruch der Authentizität.

Ein skurril anmutendes historisches Phänomen, das sich wunderbar auch auf die heutige Zeit und die Rolle des Künstlers übertragen lässt, der oft genug als Zierpflanze des Kunstbetriebs von der Kulturhaftigkeit und kritischen Haltung der Institution und ihrer Betreiber künden soll. Möglichst authentisch natürlich.

»Aufstieg und Fall der kreativen Klasse.«

In den Bildwelten Christoph Schäfers verknüpfen sich verschiedene Aspekte des Lebens und seiner Bewältigung. Sie lassen sich als Modelle komplexer Kommunikation lesen: Das In-der-Welt-Sein zwingt zu Gemeinschaftlichkeit und sozialem Handeln. Die verschiedenen künstlerischen Projekte haben gemeinsam, dass sie grundsätzliche, gemeinschaftsstiftende Bedeutung besitzen. Diese soziale Komponente und die Verantwortung für die Natur werden in der „Zweigstelle Hasselbach“ verknüpft – damit bringen die Arbeiten zusammen, was sowieso nicht getrennt voneinander gedacht werden kann.

»Für die Qualität eines ökologischen Systems ist nicht die Quantität einer darin enthaltenen Ressource entscheidend, sondern die Zeitdauer, die diese benötigt, um sich durch das System hindurch zu bewegen.«

 

»We are not outside the ecology for which we plan – we are always and inevitably part of it. Herein lies the charm and the terror of ecology – that the ideas of this science are irreversibly becoming a part of our own ecosocial system.«²

Katja Behrens

1 Homer, Odyssee, 9.132ff: Beschreibung einer unbewohnten Ziegeninsel beim Zyklopenland
2 Gregory Bateson, Steps To An Ecology Of Mind. A new information sciences can lead to a new understandin g of man, New York 1972, 504

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