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Fritz Schwegler

Einige späte Bilder blieben in der Luft hängen und wurden nachgebaut (EN 6114)

1990
220 × 104 × 30 cm
210 × 140 × 103 cm
Beton, Farbe

Fritz Schwegler
*1935 in Breech
†2014

››› https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Schwegler

Oben im Wald löst sich der schmale Pfad ins Ungewisse auf. Das ist keine Stelle, zu der man sich hinbegibt, sondern eine, an der man sich plötzlich befindet. So zufällig, so unerwartet wie der fröhliche Posten, der dort zwischen den Bäumen Wache hält. Leichtfüßig steht er auf einem Bein, über dem sich – hutartig, pilzähnlich – eine Glockenform schließt. Gelbe und schwarze Streifen leuchten wie ein Signal, das sieht nach Baustelle oder Schilderhaus aus. Es zeigt an, daß hier mitten in der Wildnis ein Ort zu finden ist. Der Glockenfuß macht selbst den ersten Schritt hinein, und etwas weiter trifft man auf sein Gegenbild. Da, wo das Dickicht undurchdringlich wird, öffnet sich ein rötliches, bauchiges Gefäß. Ein helles Gesicht mit langer Nase lugt keck daraus hervor, oder ist es ein riesiger Entenkopf mit Schnabel? Dann hört der Weg auf; es bleibt nur Umkehr, vom Vasenkopf zurück zum Glockenhut. Dazwischen: Raum für leises Lachen.

Auf den Kopf gestellt, wird eine Vase zum Hut. Ein Hut verbirgt, hält Zugluft ab, aber läßt sich auch lüften. Und nur wo sich etwas versteckt, ist etwas zu entdecken. Umgekehrt kann, was auftaucht, auch wieder verschwinden: der Kopf, der so vorwitzig seine Nase in den Wind hält, sucht vielleicht im nächsten Moment schon Zuflucht im Inneren der Vase. Erscheinen und Verbergen gehen Hand in Hand. Aber sind Aufbruch und Rückzug nicht zwei grundsätzliche Weisen, sich in der Welt zu bewegen? Dann manifestieren Glockenfuß und Vasenkopf – zwei leibhafte Metaphern dieser Befindlichkeiten – etwas sehr Menschliches. Nicht von ungefähr wirken die beiden Gestalten, die da so still und stumm im Wald stehen, merkwürdig lebendig. Und sind doch zugleich ganz dinghaft und solide aus Beton gegossen.

Da stehen sie: einfache, lebensgroße und handfeste Gegenstände, zum Greifen nah. Sie können nur nah sein, denn der Wald verstellt jede Sicht aus Entfernung. Die intime Örtlichkeit, die als Ort definiert wird durch Hut und Vase, ähnelt selbst einem Gefäß. Ein Weg führt hinein, aber nicht hindurch. Und erst wenn man eintritt, erschließt sich die Situation – als Versteck. Das System der Öffnungen und Schließungen greift schließlich auf den Wald über; nur weil er verbirgt, kann er sich öffnen. Aber was er zeigt, sind Gefäße, die selbst etwas verbergen. So vervielfachen sich die Beziehungen zwischen den Arbeiten und dem Wald, die Nähe zu den Dingen enthält auch eine ihr eigene Ferne. Immer bleibt etwas unsichtbar, und auch wenn der Hut sich lüften könnte, so bleibt er doch geschlossen.

»Sachen, wo man ein bisschen lüften kann« ist ein Buch von Fritz Schwegler betitelt. Zwei seiner Zeichnungen aus dieser Sammlung – EN 7016 und EN 7211 – zeigen einen Vasenkopf und einen Glockenfuß. »Einige späte Bilder blieben in der Luft hängen und wurden nachgebaut« (EN 6114), heißt es im selben Band. Und eben das passierte, denn Erwin und Kim Wortelkamp wurden tätig und realisierten die beiden Zeichnungen. als plastische, lebensgroße Objekte im ›Tal‹. Sie waren es auch, die den Ort im Wald fanden, die mit Fritz Schwegler das Material wählten. Aus den Buch-Bildern wurden so Wald-Arbeiten und zugleich Unikate in Schweglers Gesamtwerk, einmalig in ihrer Größe.
Wie man eine Seite umblättert, kann man nun durch den Wald gehen und Zeichen finden: Sinngebilde, die ohne Text auskommen, aber eine heitere Überraschung für den Blick bereithalten. Das Sehen, das sich abschleift an nützlichen Alltagsdingen und festgeschriebenen Bedeutungen, stolpert förmlich über die beiden paradoxen Gebilde. Man kennt Hüte und Vasen, Köpfe und Füße, aber selten sieht man den Gegenstand, ohne sofort zu seiner Bedeutung überzugehen. Glockenfüße, Vasenköpfe dagegen entziehen sich der eindeutigen Benennung. Sie sind vielleicht nicht fremder als Alltagsdinge, aber in dieser Fremdheit offenkundiger. Indem sie sich verschließen, zeigen sie, daß das Verborgene zur Welt der Dinge, und das heißt schließlich: zur Welt des Menschen, gehört.

Huberta de la Chevallerie

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