jb/kw

Johannes Brus/
Kim Wortelkamp

ohne Titel

1997
Großes Pferd 130–158 × 200 × 60–100 cm
Betonguß weiß

Kleines Pferd aus Gips 26 × 37 × 17 cm
Betonsockel 92 × 25 × 50 cm
Glashaube 43 × 25 × 50 cm

Hainbuchenhecke (Carpinus Betulus) 190 × 50 × 750 cm
Wegraum 160–300 × 1410 cm
Hainbuchenhecken 160 × 30 × 850 cm; 160 × 30 × 560 cm
Eisenstufe 20 × 355 × 1,2 cm
Weg, oberflächengleich gefaßt mit doppelten Randstein (16,5 cm), Beton
Mähweg 100 × 10500 cm
3 Solitärbäume, Kanadische Roteiche (Quercus Rubra)

Johannes Brus
*1942 in Gelsenkirchen-Buer
lebt in Essen-Kettwig

Kim Wortelkamp
*1970 in Frankenthal
lebt in Leipzig

››› https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Brus

Bewältigung der Natur
Zu einer Arbeit von Johannes Brus und der Landschaftsgestaltung Kim Wortelkamps

Verläßt man das kleine Waldstück mit seinen Skulpturen in Richtung Nordosten, in Richtung des Ortes Leingen, wählt man den Weg zur Arbeit von Claus Bury, geht an ihr vorbei den leichten Hügel hinauf, so begegnet man auf halbem Weg einer lebensgroßen Tierplastik. Man trifft auf ein weißes Pferd in Betonguß, das in seinem abbildlichen Realismus etwas brüskierend wirkt. Seine Wendung des Kopfes und die angedeutete Bewegungsaufnahme des linken Hinterbeins lassen es wie aufgeschreckt erscheinen.

Läßt man nach einiger Betrachtung das Pferd stehen, folgt man dem Pfad den Hügel weiter hinauf, wird der eigene Weg abgelenkt durch ein in den Boden eingelassenes Steinband, das einen nach links zieht. Folgt man dem Steinband zunächst mit dem Blick, bemerkt man nicht nur seinen hügelparallelen Verlauf, sondern auch seinen Wegcharakter: In seiner Fußbreite fordert es auf, ihm zu folgen. Es markiert nicht nur, sondern weist ebenso den Weg. Diesen Wegcharakter entwickelt es auch, wenn man an den Arbeiten Erwin Wortelkamps vorbei, aus der anderen Richtung kommend, den Hügel hinauf geht. Auch hier markiert das Steinband einen Weg, der einen in seine Richtung zieht.

Folgt man dem Steinband von der Seite des ersten Weges, sieht man zunächst in einiger Entfernung einen halbhohen Sockel, der ein kleineres weißes Gebilde trägt. Man erreicht es über eine leichte Stufe, eine eisenabgesteckte Grasfläche, die diese Stelle noch einmal hervorhebt. Der Sockel nun trägt ein weißes Gipspferd in Bozzettogröße, das von einem Glaskasten umgeben ist. Die noch lichte Hecke, die diese Pferdestele zum Tal hin abgrenzt und die sich nach links ein Stück wegparallel fortsetzt, erlaubt noch den Blick auf das weiße Pferd des Hinweges: Beide scheinen sich in maßstäblicher Differenz zu gleichen.

Dieser Blick, der, wenn die Hecke dichter geworden ist, mehr auf die Erinnerung angewiesen sein wird, setzt ein Spiel der Beziehung zwischen Pferdestele und Pferdeplastik in Gang. Er fragt im Vergleich zwischen beiden nach dem Verhältnis von Entwurf und Ausführung, macht die Pferdestele als Modell der Pferdeplastik thematisch. Die Art der Präsentation, insbesondere der Pferdestele, gibt diesem Beziehungsspiel dabei einen eigenen Akzent. So spielt die ausgrenzende Markierung des Steinbandes, die zugleich Wegeinladung und Abgrenzung gegen den Hügel ist, die Stufe, auf die die Pferdestele gesetzt ist, zusammen mit der Gestaltung der Pferdestele als einer Sockelplastik auf die innere Gestalt eines griechischen Tempels an.

Dieser beherbergt in seinem Inneren ein Kultbild der mit ihm verehrten Gottheit. Dieses Kultbild steht in einem unzugänglichen Raum, der wiederum Teil einer langrechteckigen Halle, dem Hauptraum des Tempels, ist. Bei aufwendig ausgestatteten Tempeln wird dieser Hauptraum von einem Säulenkranz umgeben. Seiner Funktion nach ist der Tempel daraufhin angelegt, dem Kultbild eine würdige Umrahmung zu geben: Er ist Herberge des Kultbildes. Im Kultbild selbst wird die Gottheit anwesend, sie wohnt in ihrem Bild. Das Wohnen umschreibt dabei die besondere Art ihrer Anwesenheit: Das Kultbild leistet eine Art Repräsentation, eine Form darstellenden Daseins. Es bietet der Gottheit einen Ort, an dem sie gegenwärtig wird. In dieser Leistung des Kultbildes wird der Tempel zu einem besonderen Bezirk, der sich als ein sakraler Bereich gegenüber seiner Umgebung abgrenzt. Das, was vor dem Heiligtum liegt, ist die profane Welt.

Diese Anspielung auf die innere Gestalt eines griechischen Tempels ist nun nicht wortwörtlich einzulösen, wohl aber kann sie die Konstellation zwischen Pferdeplastik und Pferdestele bereichern. In diesem Sinne gehört die Pferdeplastik, wie sie einem den Weg den Hügel hinauf begegnete, zum Bereich des Profanen. In ihrem etwas brüskierenden Realismus ist sie charakterisiert durch ein großes Maß an Profanität. In dieser Weltlichkeit stellen sich schnell auch erzählerische Kontexte ein, die die Pferdeplastik zum Anlaß situativer Assoziationen oder persönlicher Erinnerungen werden läßt. Sie weist damit von sich selbst weg, geht im erzählerischen Kontext auf, ist gerade nicht als sie selbst gemeint. In ihrem abbildlichen Realismus ist die Pferdeplastik darin mehr Zeichen als Bild.

Dieses gilt nicht für die Pferdestele. In ihrer besonderen Präsentation gewinnt sie die Form eines darstellenden Daseins. Gegenwart gewinnt mit ihr aber nicht ein bestimmtes Pferd, sondern ein ganzer kultureller Horizont wird aufgerufen. Er ist gleichsam in die Pferdestele gesammelt. Die Dimensionen dieses Horizontes umspielen dabei die Möglichkeiten von Kunst: Sie reichen von der frühen kultischen Verehrung des Pferdes, wie sie in den Höhlenmalereien von Lascaux bewahrt geblieben sind, bis zu den Pferdemodellen von Edgar Degas, die in der Auseinandersetzung mit der Photographie die gestalterischen Valenzen der Plastik neu erkunden. Die Pferdestele ruft damit einen Horizont auf, der gerade nicht von der besonderen Art ihrer Erscheinung absehen läßt. Sie bringt ihn in sich gesammelt zur Darstellung, gibt ihm einen Ort, an dem er Gegenwart gewinnt. Darin ist die Pferdestele vor allem Bild.

Pferdeplastik und Pferdestele machen ihre Beziehung an einem Gegenstand zum Thema, dem Pferd, das in kulturhistorischer Perspektive beständig die Grenze zwischen Natur und Kultur umspielt. Das Pferd steht zwischen Wildtier und Haustier, zwischen Naturtier und Kulturtier. Pferdeplastik und Pferdestele zeigen dieses: Zum einen in der angedeuteten aufgeschreckten Bewegung, die im Fluchtinstinkt des Pferdes sein natürliches Verhalten bündelt, zum anderen im kupierten Schweif, der, mit welchem Beigeschmack auch immer, die menschliche Kultivierungsleistung im Umgang mit dem Pferd pointiert. Das Pferd wird dabei in dem Maße zum Kulturtier, in dem es gelingt, seine natürlichen Eigenschaften in einen Kanon kulturell nutzbaren Verhaltens zu transformieren. Wie sehr dabei das Pferd ein Naturtier ist, wird darin deutlich, daß dieser Vorgang als Zähmung verstanden wird. Er leistet die Umwandlung natürlichen Verhaltens in kulturelle Qualitäten.

Diese Stellung des Pferdes zwischen Natur und Kultur trägt das Pferd als Dargestelltes auch in seine Darstellung. In der Pferdeplastik und der Pferdestele wird sie faßbar als Spannung zwischen Material und Sinn. Pferdeplastik und Pferdestele umspielen auf je eigene Weise das Verhältnis von Materialbewältigung und Sinnstiftung. So ist die Pferdeplastik in ihrem Realismus charakterisiert durch eine Überformung des Materials. Es ist vollständig funktionalisiert zu einer abbildlichen Form, die als Darstellung zurücktritt. Der Gegenstand, das Pferd, ist hier das Gemeinte. Die Pferdestele dagegen ist nicht einfach nur maßstäblich verkleinert, sondern diese Verkleinerung ermöglicht einerseits die besondere, anspielungsreiche Art der Präsentation, sie bewirkt andererseits ebenso eine Verundeutlichung der plastischen Gestaltung, die gerade diesen weiten Sinnspielraum eröffnen kann. Es gibt bei der Pferdestele, ganz im Gegensatz zur Pferdeplastik, einen ästhetischen Rest an Undeutlichkeit, an offener Gestaltung und an fremdem Kontext, der gerade nicht von der Pferdestele absehen läßt. Die Spannung zwischen Material und Sinn, zwischen naturalen und kulturalen Momenten, läßt sich nur am Werk selbst einlösen. Kunst, so machen es hier Pferdeplastik und Pferdestele im Bezug aufeinander thematisch, bewältigt die Natur zu Sinn, allerdings nur insofern sie die Natur in sich selbst zur Geltung bringt.

Verläßt man nach einiger Betrachtung die Pferdestele und geht den Hügel wieder hinab, so erkennt man rückblickend, wie sich drei einzeln entlang des Steinbandes stehende Bäume in Werk und Landschaft einfügen. Sie markieren sichtbar einen Ort und bilden zugleich in ihrer Folge eine Grenze. Darin gestalten sie die Landschaft, begrenzen das Tal an dieser Stelle hügelseitig. Die Bäume umspielen darin auf ihre Weise auch die Grenze zwischen Natur und Kultur: Sie schaffen einen Sinnzusammenhang, der in der künstlerischen Gestaltung die vegetative und geographische Kontingenz des Talausschnittes als Landschaft sichtbar macht.

Claus Volkenandt

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