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Claus Bury

Haus des Hasselbacher Reiters

1987/88
800 × 600 × 500 cm
Holzkonstruktion

Claus Bury
*1946 in Meerholz
lebt in Frankfurt am Main

››› https://clausbury.de

Kleine Phantasie für Claus Bury

Beritten kam die Kunst ins ›Tal‹. – Bury aus dem Hanauerland. Schwer gesattelt sein Rappe, Sägen, Bohrer, Hammerzeug drückten den Gaul. Brockhaus, auf Rädern und zweispännig, zog es vom Rheinischen her. Fritsch und Nierhoff waren, wo sie aufgebrochen, knapp hinter Köln vom Eis gepresst. Ein Packesel, getürmt mit allerlei Eisernem, ging ihnen in Schnee und Nebel für kurz verloren. So ohne Barmen waren die Winter dereinst. Den Bart im Rauhreif war auch Demetz unterwegs. Sein südtirolischer Schimmel ward vom Blitz getroffen, halbenwegs gen München. Dort schloß er sich, Flüche auf den Lippen und verspätet, Gerhart und Lehnerer an, die mit einem braunen Reisepferd aushalfen. Dreimal wurden sie geplündert auf der Strecke vom Süden zum Westerwald. Unsichere Gegenden, rauhe Zeiten. Nichts anderes hatten sie alle erwartet. »Unglück reit mich, wo ich hin ker« riefen Deiml und Forster, verirrt im Siebengebirg. Gehetzt und schon in gehöriger Nacht trafen die Schwaben an einem Wegekreuz auf Brummack und Reineking, die sie kannten. Die Kölnischen – hinterm Dom werde wieder gehenkt, erzählten sie auf dem weiteren Ritt – stellten als letzte ihre Pferde in die Stallungen. Gegen Morgen lagen alle im Stroh und es ward still in Wortelkamps Herberge.

Anderntags früh kräuselte dünner Rauch aus dem Schlot des Schulhauses im ›Tal‹. Manchmal zog auch Funkenflug in die Lüfte: als wäre das Haus noch durchglüht von den heftigen Feuern der Inspiration, von den Geistesblitzen im guten Dutzend, welche die mehreren Herren, Künstler und Werkleute am Schönen, ihrem spiritus rector und der so klugen wie liebreizenden Hausherrin bis in eine tiefe, wahrlich angeregte Nacht vordisputiert hatten. Ein hochfliegend Projekt hatte sie herund umgetrieben. Wie ihre Künste, von deren sittigender Kraft sie sämtlich durchdrungen waren und überzeugt, der Natur zu vermählen seien; doch so, daß die Kunst vor der Natur sich nicht schämen sollte. Dies war die Aufgabe des Treffens von Hasselbach.

Wohlan ins ›Tal‹, rief Wortelkamp, nachdem das letzte Frühstücksmaul gewischt war. Jedem sollte, auf erstem Rundgang, von Senken und Hügeln, Bächen und Auen, Hecken und Röhricht, Fels und Baum und jeglicher Mischung, die begrifflichste Anschauung zuteil kommen. Und vielleicht gar, hoffte Wortelkamp, ein Ungeduldiger, würden schon Plätze erkoren und amöne Örter gefunden, woselbst die collegae in artibus ihre Wegzeichen und Votivbilder in die Natur, die diesen hellgrauen Nachmittag, leicht überschneit, sich plastisch darbot, möchten setzen wollen. Bei diesen Gedanken hatte Wortelkamp den Bury, der es nicht merkte, scharf im Blick. Der rief, wie auf Kommando, eine leichte Erhebung vor Augen: »Dorthin, fürs ›Tal‹, bau ich einen Pferdestall!«

Alle wußten, warum der Hanauer ihnen so praktisch kam. Hatten sie doch nächtens die gepferchten Gäule treten und kollern gehört; denen mußte schnell eine Bleibe her. Noch länger wäre schließlich der berittenen Künstler Aufenthalt im ›Tal‹. Schon hatte Wortelkamp ein kleines Kiefernwäldchen im Blick und die nötigen Äxte und Sägen im Sinn, gab jeder das Seine krittelnd oder zustimmend dazu. Bury aber, den Kopf schon voller Grundrisse, Hochbalken und Pfetten, hielt mitten im Lauf zum Bauplatz jäh inne. Knapp dahinter, unter einem dichten Vorhang aus Efeu, trat ein Gebäunis in Erscheinung, das er in einer Vision eben auf den Platz gestellt hatte. Nun sahen es auch die anderen durch den grünen Mantel der Natur. Ein Holzhaus, getreppt und getürmt, mehr verschlossen als offen, zwei Stege stützten die Stirnseiten noch einmal ab: aus anderer Kultur dahergesetzt, aber wann? Sie schlugen es frei, rissen sich die Nägel ab. Dann war allen klar, Bury als erstem: sie alle waren schon einmal hier gewesen, vor Jahrhunderten. Bury holte den Rappen, stapfte durch den neuen Schnee und führte den Gaul an einen pferdekopfhohen Balken in dem Stalle, den er (er?) vielleicht vor dreihundert Jahren hier errichtet hatte. Der Pferdebiß an der alten Nagespur paßte.

In der folgenden, ganz aufgescheuchten Nacht hörte der Wortelkamp seine schon schläfrige Frau sagen, wie schön es doch sei, daß niemand zu ergründen wisse, wo die Natur aufhöre, Kunst und Handwerk aber anfingen.

Gestern wird sein, was morgen gewesen ist. Doch ist dies schon wieder eine andere Geschichte. Sie handelt auch vom Hasselbacher ›Tal‹.

Hanno Reuther

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