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Heinrich Brummack

Ort der Harmonie

1986/89
Platz, ellipsenförmig 250 m²
Tor 320 × 450 × 95 cm
Tisch 200 × 200 × 16 cm
Hocker 45 × 40 cm
Grauwacke, Carrara-Marmor, sardischer Granit, Ziegel, Strauchwerk und Hecke

Heinrich Brummack
*1936 in Treuhofen
†2018 in Schwäbisch Hall

››› https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Brummack

Ort zum Verweilen
Eine Gartenskulptur von Heinrich Brummack

Die Absicht des Bildhauers war es, eine Gartenskulptur ›im Tal‹ zu errichten – eine landschaftliche Skulptur im traditionellen Sinne an einem Ort, wo aber noch gar kein Garten vorhanden war. Der Bildhauer nennt Vorbilder in der Romantik, immer wieder im Manierismus, vor allem auch bei Gaudi. Ein Ort zum Verweilen, ein Ort der Beschaulichkeit, wenn nicht gar der Lustbarkeit, sollte es werden – und das ist ein klassisches Thema der Gartenskulptur. Aber was für ein Ort war es, was für ein Platz, den der Plastiker zu Beginn seiner Arbeit vorfand?

Der Westerwald ist keine liebliche Gegend. Ein entlegener Ort ist dieses ›Tal‹ zwar, abgeschieden, aber eben nicht der klassische locus amoenus; die Landschaft bleibt bestimmt durch das, was das Land schafft, vor allem nämlich Weideflächen der Landwirtschaft.

Als ich ins ›Tal‹ kam, habe ich zunächst mit Verwunderung angenommen, daß die Arbeiten der Künstler sehr weit voneinander entfernt platziert seien. Im Nachhinein habe ich jetzt in der Erinnerung den Eindruck gewonnen: den Arbeiten ist angenehm viel Platz voneinander gegeben, sie bedrängen einander nicht. Der Betrachter braucht daher auch genügend Zeit und ist zu intensivem Sehen angehalten, auch die Zuordnung der verschiedenen Künstlerarbeiten zu erfahren, vor allem die unterschiedlichen Bezugnahmen auf Dinge und Geräte in der Gegend: auf Abgrenzungen, insbesondere durch Zaunpfähle in den Wiesen, auf Weggabelungen und Waldschneisen, Bodenvertiefungen und -erhebungen, schließlich die Zuordnung zu Viehunterständen oder Heuhütten, mit denen Künstler teils konkurrieren und deren Konstellation sie kommentieren konnten. Heinrich Brummack hatte bei Arbeitsbeginn sein Konzept offengelassen, das er dann im Lauf der Zeit rationalisierte und ›rekonstruierte‹. Er wollte Landschaftszeichen setzen, einen Platz markieren, eine Insel in der Gegend mit Inhalten versehen.

Bestimmtheit und Unbestimmtheit der Gegend sind von Interesse, was sich dort bereits befindet, die Pflanzen, die Areale, die Besitztümer, die Geschichte der Orte und der Leute, die dort ansässig sind. Auf der Fahrt ins ›Tal‹ kommt man durch kleine Ortschaften mit der schrecklichen öffentlichen Ikonographie von Reklame und Design – da es sie nun mal gibt, hat der Zeitgenosse mit ihr fertig zu werden, auch der Bildhauer kann nicht einfach darüber hinwegsehen. Brummack denkt da an Nicolas Poussin – »die Landschaft soll geheilt, regeneriert werden. Und man muß dazu eine andere ikonographische Sprache entwickeln«. Der Ort sollte definiert werden durch einen quadratischen Tisch, zylindrische Sitze aus Granit und die steinerne Begrenzung des Platzes darinnen, vor allem ein Portal – das hat Heinrich Brummack aus Marmorfindlingen errichtet, sie stammen aus einem Fluß bei Carrara, er hat sie zu zwei Säulen zusammengemauert. »Die Säulen erinnern von fern an Schneemänner. Ich habe ›weiche‹ Formen erstellt, denen harte entgegengesetzt werden mußten«.

Die Säulen hat Brummack verbunden, einen Giebel aus Aluminium aufgesetzt. Daß die Giebelteile beweglich sind, weiß aber der Betrachter zunächst nicht – man könnte es vermuten, da die Teile mit einer Kette verknüpft wurden. Hier ist der Giebel Fragment geblieben, erinnert an ein Gerüst, die Unterbrechung des Giebels läßt ihn vorläufig erscheinen. Die beiden Schrägen sind beweglich gelassen. Im Moment ist der Giebel nach der anderen Seite gedreht und scheint sich zu neigen. An dieser Kette hängen einige künstliche Blüten, die auf die Büsche und Bäume in der Umgebung verweisen.
Mit den Säulen aus rundgeschliffenen Flußsteinen nimmt Brummack Bezug auf die Tradition von gemauerten, auch gedrehten Säulen, die es neben gehauenen Säulen gibt, vor allem in Italien und insbesondere im späten Manierismus, in den Boboli-Gärten, in der Villa d’Este. Für Säulen verwendete man Kombinationen heterogener Materialien, teils von der Natur Geformtes oder künstliches Material wie Glas, darunter auch Spiegel?

Die Arbeit dauerte über drei Jahre; die Basis wurde wieder und wieder anders definiert, auch das Thema einige Male von neuem formuliert. Zunächst mußte der für die Arbeit vorgesehene Platz befestigt und fundiert werden, eine Standfläche mußte geschaffen und für Begehbarkeit mußte gesorgt werden. Die Stelle war so feucht gewesen – »da konnte man einen Besenstiel in den Boden stecken, der wäre gleich grün geworden, hätte Wurzeln geschlagen, Blätter wären gewachsen«.

Abgesehen vom neu geschaffenen Untergrund und einem kleinen Wall aus Steinen wird die Stelle nun vor allem durch die Vegetation bestimmt: Eingrenzung und Umgrenzung, nach innen und gegen außen. Hecken markieren ein Oval, und die verändern sich immer weiter.

Heinrich Brummack macht Einwände gegen Skulpturenparks: Er wollte nicht bloß eine Skulptur hinstellen. »Es gibt Kollegen, die ihre Inhalte aus der Werkstatt in die Galerie tragen und sie dann in gleicher Weise in die Landschaft bringen.« Ein Lieblingswort des Künstlers: »Die Landschaft darf man nicht nur als Parkplatz für Skulpturen benutzen! Wenn ich eine Skulptur mache, dann immer für den Ort, wo sie hingehört, wo sie ihren Platz hat und auf Dauer behalten soll.«

Mit seiner Arbeit bietet der Bildhauer eine Kombination von heterogenen, ziemlich befremdlichen Formen. Ansammlung und Aufbau erbringen indes Zuordnungen und wechselseitigen Kommentar. Die Widersprüche der Materialien und Formen ergeben sich aus Techniken von Montage und Assemblage – zudem resultieren sie aus der unterschiedlichen Bezugnahme auf die Geschichte der Säulenformen, aus Verweisungen, aus Verbindungen und Verknüpfungen von Differenzen in historischen Vorbildern.

»Die Arbeiten werden durch die Veränderung der Vegetation, der Wege ›von außen‹ bestimmt. Bestimmungen durch die Umgebung – wenn ich andererseits Skulptur in die Landschaft stelle, verändert sich der Ort.« Platz, Raum und Stelle, der Ort und seine Umgebung – die ganze Gegend ist ja kultiviert, hier gibt es ja keine Natur mehr, in die der Mensch nicht eingegriffen hat. Wie gehen wir mit der Landschaft um? Landschaft existiert kaum mehr; sie ist zerstört, zersiedelt. In die letzten schönen Ecken setzen wir dann auch noch ein paar Fremdkörper hinein, Plastiken, Skulpturen, ›Objekte‹.

Zwischen den Bildhauern, den Plastikern oder Objektebauern der jüngeren Generation und den älteren Formalisten und Puristen gibt?s einen Bruch, vor allem, was die Inhalte bei den Jüngeren angeht. Das Reduzieren in Plastik und Skulptur hält Heinrich Brummack für ausgereizt. »Die Jüngeren stehen mir wegen ihrer Thematik und Ikonographie näher, die erzählen Geschichten.«

Ein Nebeneinander von zeitgemäßer Inhaltlichkeit, Geschichtsbezug und Herausfallen aus der Zeit läßt sich bei Heinrich Brummack feststellen, ein Nebeneinander des Kleinen und des Großen, der Künstlichkeit und des Natürlichen, des Anwesenden und des Abwesenden, des hoch Aktuellen und zugleich auch des Abseitigen. Der Bildhauer vermittelt mitunter den Eindruck von Naivität – aber gut gespielt.

Seit ich seine Arbeiten kenne, ist für mich die Sentimentalität Brummacks herzlich anrührend. »Wir binden Dir den Jungfernkranz« haben Kollegen lästerlich gegen die Girlande am Portal eingewendet. Man distanziert sich, denn man hat Scheu oder Angst vorm Sentimentalen und Naiven; und so retten sich viele in die Ironie, als bliebe der Betrachter ganz kühl, wenn Kitsch zitiert wird – zugleich genießt er ihn aber insgeheim. Brummacks Erfahrung: Ironie versteht das Publikum kaum, es nimmt sie allzu oft für bare Münze und wird nicht selten aggressiv. Inzwischen hat aber die öffentliche Ikonographie von ›Gestaltung‹ in Werbung, Gebrauchsgütern und Massenkommunikation die Kunst eingeholt – und Distanz ist nun aufgehoben.

Ironie und Anachronismus als Aspekte von Stilistik und Rhetorik sind die eine Seite – Bezugnahme auf Historie ist die andere. Brummack zitiert aus der Geschichte der Bildhauerei. Eine Vielzahl historischer Themen und Formen werden heute gar nicht mehr bearbeitet – aufgegeben, vergessen wie die von Brummack aufgegriffenen Gartenskulpturen vor allem, oder die Themen und Formen von Laube, Brücke und Grotte.

Zeitgemäße Denkmäler wären gefragt, rituelle Skulpturen. Gute Bildhauerei für den Sakralbereich gebe es ja kaum mehr, oder Plastiken, die ein Teil der Architektur sind. »Aber bloß keine Kunst am Bau!« sagt Brummack. Tempel oder Zäune wären gefragt – und eben Portale, ein typisches klassisches Thema. Ein Tor, einen Zugang zu einem Stadtteil – signifikante Stadtzeichen sind selten geworden. Und Portale dienten nicht bloß für den Einzug eines Fürsten. »Das Portal als Grenzanzeiger könnte heute eine veränderte Funktion erfüllen und eine neue Bedeutung aufweisen. Portale dienen etwa für einen Eingang in ein öffentliches Gebäude, zu einem abgeschlossenen öffentlichen Raum oder Ort, sie markieren den Durchgang zwischen Straßen.«

Aber wozu wird hier ein Portal in den Westerwald gestellt? Brummacks Arbeiten enthalten einen gut Teil Widerspruch in sich. Und es fragt sich auch: Wogegen wird Widerspruch eingelegt? Nichtentsprechung ist oftmals Bestandteil des Konzepts von Brummack. Seine Arbeiten geben den Leuten Gelegenheit, die Erfahrungen, ihre Erlebnisse und ihre Geschichten an die Plastik heranzutragen, die eigenen Kontexte anzuschließen. Brummack legt den Leuten nahe, an diesem Ort zu verweilen und in der Beschaulichkeit weiter zu phantasieren.

S. D. Sauerbier